SWEED im Interview: ADHS, Erdnussflips und die mentalen Tücken der Musikbranche
- Kaja
- 21. März
- 9 Min. Lesezeit
Manche mögen sich noch erinnern: Vor drei Jahren habe ich SWEED mit "Stuck" zu meinem Song des Jahres auserkoren. Am Dienstagmorgen sitzt er dann im Wartezimmer unseres Zoom-Calls, inzwischen um einige Singles, EPs und Streams reicher – und mit seinem Album im Gepäck: SWEED veröffentlicht heute sein Debütalbum BITTERSWEED. Ein Gespräch über Social Media, Berlin und die deutsche Musikindustrie.

Was bisher geschah
Zuallererst müssen wir klären: Wie läuft dein Erdnussflips-Experiment? Du hast letztens auf TikTok gepostet, dass du extra die Packung öffnest und ein paar Tage stehen lässt, damit sie pappiger werden.
Niklas (lachend): Verdammt, du hättest so lachen müssen. Ich habe gestern vor dem Einschlafen wieder Flips gegessen, die standen hier noch bis vor einer Stunde (lacht). Ich habe Chat GPT gefragt und anscheinend werden die Flips schneller pappiger, wenn man die in Kühlschrank legt. Hat aber nicht geklappt. Aber das Experiment läuft sehr gut.
Am Freitag kommt dein Debütalbum BITTERSWEED raus. Das markiert immer auch den Abschluss des absoluten Newcomer-Daseins. Deswegen würde ich erstmal gerne einen kleinen Rückblick wagen: Deine musikalischen Anfänge hast du in deiner Musikschule in Biberach gemacht. Was hast du da gelernt, dass dir heute immer noch beim Musikmachen hilft?
Niklas: Man wurde dort ziemlich gefördert, was so auf der Bühne stehen angeht. Das Beste war, dass wir uns immer Songs wünschen durften, die wir auch selber gehört haben – ich war da in einer krassen Bruno Mars-Phase. Wir haben das ganze Jahr über auf die Christmas-Session hingeübt, da ist man sozusagen vor der ganzen Stadt aufgetreten – wer da auf der Bühne stand, war immer der Allercoolste. Und dieses Vertrauen in sich selbst, vor vielen Leuten auf einer Bühne zu stehen, das habe ich dort auf jeden Fall gelernt. Deswegen hatte ich damit später nie Schwierigkeiten.
Jetzt wohnst du inzwischen in Berlin. In welchen Momenten wünschst du dir Stuttgart oder sogar Biberach zurück?
Niklas: Ganz oft. Ich habe in den letzten Jahren Probleme mit Panik und vielen Menschen und das war mir davor gar nicht bewusst. Das kam nach Corona. Ich wohne hier im Erdgeschoss und wenn ich vor die Tür gehe, sind dauerhaft überall Menschen. Manchmal ist mir das einfach zu viel und da war Biberach, oder auch Stuttgart, schon entspannter. Aber ich fühle mich in Berlin sehr wohl. Ich habe viel mehr Möglichkeiten, allein was Essen angeht. Und Natur natürlich. In Biberach damals hat's eine Stunde Fahrt gebraucht und dann warst du fast in den Alpen. Das ist schon was anderes.
Wie blickst du denn selbst auf die Zeit zurück, seitdem du deine erste Single veröffentlicht hast? Auf Social Media hast du schon öfter erwähnt, dass du auch nicht immer einfache Phasen hattest.
Niklas: Das waren sehr durchtriebene vier Jahre. Am Anfang habe ich selbst zuhause produziert, dann kam mein bester Freund Luke (Anm. d. Red.: Luke Noa) dazu. Da hab ich einfach gemacht, worauf ich Bock hatte. Das hat schon da guten Anklang gefunden.
Dann kam die Label-Zeit, da waren die ersten paar Releases auch cool. Meine damalige Managerin hat mit ein paar Aktionen aber relativ schnell "reingekackt". Da stand ich wieder allein da, hatte aber halt einen Vertrag unterschrieben. Als ich später nach Berlin gezogen bin, bin ich durch Phasen des Musikmachens gegangen, die mir nicht so gut gefallen haben. Ich wusste eigentlich gar nicht, was ich machen will.
Letztes Jahr im April habe ich mich dann von allem getrennt: Label, Management, Booking, Verlag. Ich habe mir das danach langsam wieder zugearbeitet. Bis heute habe ich kein Management mehr, ich habe richtig Angst davor. Dieses ganze Musikkonstrukt und diese Branche haben mich psychisch ein bisschen kaputt gemacht. Ich kann nur schwer Kontrolle abgeben. Und jetzt, wo ich für das Album alles allein organisiert habe – die Finanzierung, die Förderung, Interviews, meine Werbung, die Tour-Planung – interessieren sich Leute plötzlich für mein Management. Jetzt, nachdem ich da ein Jahr lang richtig Arbeit reingesteckt habe?
Ich bin stolz auf alles, was passiert ist, alles, was ich gemacht habe, alle Menschen, die ich auf dem Weg kennengelernt habe. Aber es war nicht immer einfach.
BITTERSWEED: Befreiung, Selbstdiagnosen und Social Media
Dann kommen wir mal auf’s Album zu sprechen. Der Titel ist mal wieder ein Wortspiel mit deinem Namen: BITTERSWEED. Würdest du so auch deine Musik beschreiben?
Niklas: Auf jeden Fall. Das ist das Grundkonzept. Die Musik entsteht wie aus einer verkeilten Wurzel heraus, und aus dieser verkeilten Wurzel entsteht ein Blumenfeld. Auf der einen Seite sind die Texte traurig, aber auf der anderen Seite klingt es sehr leicht.
Das Album startet mit "Understand" mit einem richtigen Befreiungsschlag. Hast du dich mit diesem Song jetzt aus dem Gefühl befreit, das du vor ein paar Jahren auf "Stuck" noch besungen hast?
Niklas: Mehr oder weniger. Aus ein paar dieser Dinge habe ich mich wahrscheinlich schon befreit. Ich glaube aber, dass man immer wieder in alte Muster verfallen kann. Ganz kommt man da nie raus, irgendwo mal stuck zu sein. Aber es steckt auf jeden Fall ein Stück Befreiung im Song. Die letzten zwei Jahre waren psychisch sehr anstrengend: Ich habe es mit mir selbst einfach schwieriger ausgehalten. Der Befreiungsschlag war, festzustellen und zu sagen, "Ich bin aus dieser Phase raus". Man geht manchmal durch‘s Tal, aber dann geht es auch wieder bergauf.
Ein Song, der für mich textlich herausgestochen ist, ist "Someday". Darin thematisierst du deine Leidensgeschichte mit ADHS. Das ist schon ein sehr persönliches Thema. Wie war denn der Schreibprozess für diesen Song?
Niklas: Schon eine ziemlich Wucht. Eigentlich hatte ich mir immer geschworen, das Thema aus der Musik rauszulassen. Ob das jetzt jemand weiß oder nicht weiß… Ein Freund von mir sagt immer, denk dir einfach, alle Leute haben einen kleinen Schaden und dann ist es viel leichter durch die Welt zu laufen und das stimmt ja auch. Wir haben alle unsere Macken.
Auf jeden Fall hatte ich angefangen, diesen Song zu schreiben und das ADHS-Thema kam so aus dem Nix aus mir raus. Es war schon krass, diese Erlebnisse hochzuholen und nochmal darüber nachzudenken, wie das damals in der Kindheit war. Damals war ADHS nicht so gewöhnlich.
Was mich dann wirklich dazu bewegt hat, den auch als Single und auf dem Album zu veröffentlichen, waren diese Selbstdiagnosen auf Instagram die letzten zwei Jahre: Wenn Leute von ihren ADHS-5-Minuten sprechen, aber gar nicht diagnostiziert sind. Das ging mir irgendwann so auf die Nerven. Es ist ein hartes Beispiel, aber ich sag auch nicht, ich habe Krebs, obwohl ich es gar nicht weiß. Eine psychische Krankheit kann genauso schwerwiegend sein wie eine physische Krankheit - bei mir jetzt nicht, mir geht's gut. Das kommt immer auf den individuellen Menschen an.
Bei mir war damals in der ersten Klasse wirklich die Frage, darf ich auf der normalen Grundschule bleiben oder muss ich auf eine Sonderschule? Und wenn du dann Leute siehst, die mit diesem Begriff umspringen, als wäre das nix, dann tut das schon irgendwo weh. Oder auch Leute, die zum Spaß Ritalin nehmen. Das alles hat mich dann dazu bewegt, das in dem Song anzusprechen.
Siehst du das aber komplett kritisch, dass ADHS auf Social Media so ein präsentes Thema ist oder auch positiv, dass Leute dadurch jetzt eher ihre Symptome erkennen?
Niklas: Ja, das ist leider die Schwierigkeit darin. Ich find's mega gut, dass da mehr Aufklärung herrscht. Gerade auch im Thema ADHS bei Frauen, weil bei Frauen ist das – wie so viele Sachen – noch weniger erforscht als bei Männern. Und dass die Aufklärung dazu beiträgt, dass eine Person zum Psychiater geht und sich auf ADHS testen lässt, ist super. Also ich hab eigentlich nur ein Problem mit der Selbstdiagnose, Aufklärungsvideos finde ich total toll.
"Wo ist mein englischer Indie!?"
Generell hat die Platte, aber auch deine vorherigen Songs, einen sehr amerikanischen Sound. Wie oft wurde dir aber schon dazu geraten, lieber auf deutsch zu singen?
Niklas: Boah, so viele sagen das. Ich habe ja einen deutschen Song (Anm. d. Red.: "Eklig hohe Mieten") und es liegen auch noch ein paar deutsche Skizzen rum. Ich lieb's auch, für andere Deutsch zu schreiben und das wird einem schon immer geraten. Aber wie langweilig ist das? Die Leute, zu denen ich am Anfang von SWEED hochgeschaut habe, machen fast alle keine englische Musik mehr. Das ist schon hart, wie man sich so an die Industrie verkauft. Ich habe das Gefühl, dass das bei vielen Leuten so ein gezwungenes Ding ist und auch teilweise nicht funktioniert, weil die Hörer*innen das merken. "Eklig hohe Mieten" kam ohne Plan irgendwo aus mir raus und dann haben wir den einfach veröffentlicht. Es hat auch gut funktioniert, aber das war es dann auch. Das war nicht mit einem Plan dahinter. Aber Englisch ist einfach mehr mein Ding.
Aber kannst du dir erklären, warum deutsche Musik in den letzten Jahren so in den Trend gekommen ist? Weil das war ja nicht immer so.
Niklas: Das klingt hart, aber vielleicht sind wir alle ein bisschen dümmer geworden. Vielleicht ist es einfacher für uns, deutsche Musik zu hören, weil man die Worte nicht erst im Kopf übersetzen muss. Obwohl ich auch glaube, dass das Englisch bei den Menschen in den letzten zehn Jahren viel besser geworden ist.
Aber das ist auch der Musikmarkt in Deutschland, die fördern englische Musik nicht mehr so krass. Die Festivals wollen natürlich Tickets verkaufen. Und mit was verkaufen die Tickets? Mit Zartmann, Provinz, Ikkimel. Das verstehe ich auch, die machen alle gute Musik. Aber ich weiß noch, wie geil das war mit diesen ganzen englischen Indie-Bands vor zehn Jahren. Eine richtige Vorbildsband waren auch Giant Rooks. Die sind dann zwar nicht ins Deutsche gegangen, aber mega in den Pop. Wo ist mein englischer Indie hin!?
Wer weiß, es kommt ja alles wieder. In ein paar Jahren ist wahrscheinlich alles wieder auf Englisch.
Niklas: Hauptsache, ich muss in zwei Jahren keine Skinny Jeans tragen. Aber ich wette, ich bin der Erste, der es macht (lacht).
Ich glaube, darauf können wir uns einstellen.
Auf der Suche nach Ideen
Du hast in einem Interview mit DIFFUS gesagt, dass du meistens auf Ideen kommst, wenn du einfach rumsitzt - in Momenten der Langeweile. Wie schaffst du es denn, dass du diese langweiligen Momente trotz Social Media immer noch erlebst?
Niklas: Ja, das hat sich auch schon wieder bisschen verändert. Ich schaffe das ehrlich gesagt auch nicht mehr. Meistens kommen die Ideen jetzt kurz vor dem Einschlafen, wenn man eben nicht am Handy ist. Ich habe eine Bildschirmzeit, die ist so asozial hoch. Aber es ist voll unterschiedlich, wie ich gerade auf Ideen komme. Manchmal lege ich mir extra Stunden fest, in denen ich eine Stunde durch die Rehberge hier in Wedding laufe, komplett ohne mein Handy. Da kommen mir dann manchmal Ideen, aber dann habe ich mein Handy nicht dabei, um sie aufzunehmen (lacht).
Das ist nicht so einfach heutzutage.
Niklas: Nein, nein, nichts ist einfach.
Um Abstand von dem ganzen Musikding zu bekommen, hast du Ende 2023 den Kilimandscharo bestiegen. Inwiefern hat dir dieses Rauskommen denn auch beim Albumprozess geholfen?
Niklas: Der Trip hat den Meilenstein gelegt, dass ich wieder zu mir selbst gefunden habe. Nicht nur auf‘s Album bezogen, sondern generell. Ich wäre nicht so frei im Kopf gewesen. Also ich bin vom Kilimandscharo runtergekommen und habe gemerkt, ich brauche eine Verhaltenstherapie, irgendwas stimmt nicht. Ich habe dann auch schnell eine Therapeutin gefunden, God bless. Mit dem Anfang der Therapie hat dann der Albumprozess richtig begonnen. Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Trip gemacht habe, dass ich es wirklich durchgezogen habe, vor allem auch alleine. Ich war die ersten eineinhalb Wochen eigentlich nur mit Einheimischen unterwegs und keiner westlichen Person. Das hat mir dann schon nochmal gezeigt: Es ist nicht alles in Berlin, scheiß auf Instagram. Weil ich hab mich total verrannt in diesem Likes-, Follower-, famous-, Branchen-, Partys-Ding. Das bin ich eigentlich gar nicht. Ich bin schon ein aufgedrehter, extrovertierter Typ. Aber ich hab festgestellt: Ich muss nicht auf jeder Party tanzen.
Planst du auch nach dem Album wieder eine ähnliche Reise?
Niklas: Ja, ich wollte nach Kirgisistan gehen dieses Jahr, jetzt spielen wir aber doch noch ein paar Shows über den Sommer und die Tour. Mal gucken, ob ich 2026 dann die Reise antrete. Wer weiß, was passiert. Und irgendwann will ich den Pacific Crest Trail laufen, also einmal durch die USA. Aber das dauert sechs Monate und Geld kostet es auch. Also ich weiß es nicht.
Man braucht ja Träume im Leben.
Niklas: So ist es.
Und dann sind wir auch schon bei der letzten Frage angekommen: Du hast letztens ein TikTok gepostet mit Tellern mit ganz tollen Motivationssprüchen: Welchen Motivationsspruch willst du unseren Leser*innen heute zum Schluss noch mitgeben?
Niklas: Vielleicht ganz klassisch: Sei du selbst. Vertrau dem, was dein Kopf dir sagt und nicht darauf, was andere dir sagen. Das ist auch mein größtes Problem. Ich habe ganz viel Wert auf die Meinung andere gelegt, anstatt auf mich selbst zu hören und meinen eigenen Selbstwert nicht erkannt. Und der eigene Selbstwert ist eigentlich was ganz Besonderes. Ich glaube, wenn man das erkennt, dann ist man schon ein ganz großes Stück weiter.
Sehr schön, vielen Dank!
Niklas: Sehr gerne.
BITTERSWEED ist am 21. März via Milkface Records erschienen.
SWEED - Live 2025
23.03. Köln, Gebäude 9 (mit The Reytons)
24.03. Hamburg, Markthalle (mit The Reytons)
25.03. München, Hansa 39 (mit The Reytons)
27.03. Stuttgart, Im Wizemann (mit Neeve)
04.04. Hamburg, Kultur & Gut
04.03. München, Bufet
15.10. Köln, Die Wohngemeinschaft
16.10. Hamburg, Die Hebebühne
17.10. Leipzig, Moritzbastei
19.10. AT - Wien, Club Transponder
23.10. Stuttgart, Merlin
25.10. Nürnberg, Club Stereo
11.12. München, Ampere
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