Die Chemnitzer*innen Anja, Svenja, Nino und Maria haben mit ihrer Band Power Plush ein quasi eigenes Genre kreiert: Plüschiger Indiepop zum Wohlfühlen. Während auf ihrer ersten EP die Gefühle nur so rausgesprudelt sind, klingt ihr Sound und die Herangehensweise auf ihrem Debütalbum Coping Fantasies deutlich erwachsener. Neben der gewohnten gefühlvollen Art finden sich nun auch schroffere Klänge und Thematiken auf dem Album.
Anfang Februar ist ihr Debütalbum Coping Fantasies herausgekommen. Ich habe mit Anja (Gesang, Bass) über die Platte, Sexismus und Mental Health gesprochen und sie zu ihrem eigenen Utopia gefragt.
Die Entstehung des Albums
Bei euch ist in letzter Zeit viel passiert – ihr habt unglaublich viele Liveshows gespielt, eure eigene Release-Party veranstaltet und euer Debütalbum ist endlich raus! Wie gehts euch mit all dem?
Ich würde sagen, gut. Das ist ein Projekt, an dem wir jetzt über ein Jahr gearbeitet haben. Es ist voll das schöne Gefühl, dass das jetzt draußen ist und die Leute das hören - wir haben sehr viel positives Feedback erhalten, was uns sehr freut! Es ist auch gut, mal eine Woche ein bisschen ruhiger zu machen. Wir haben zwar noch ein paar Interviews, aber wir kommen so ein bisschen runter und bereiten uns langsam auf die Tour vor. Darauf freuen wir uns auch sehr! Ich glaube, wir sind generell gespannt auf das Jahr und sind froh, dass wir diesen Meilenstein erstmal geschafft haben.
Wie war denn insgesamt der Prozess der Entstehung des Albums?
Nachdem wir im September 2021 die EP rausgebracht haben, haben wir uns Oktober/November direkt an die neuen Songskizzen gesetzt. Dann sind wir im Januar ins Studio gegangen und das hat sich dann so übers Jahr gezogen, dass wir immer mal wieder daran gearbeitet haben.
Der Prozess ist ganz unterschiedlich – es kommt voll auf den Song an und auch darauf an, wer die Songs skizziert. Wir bringen alle Songskizzen in den Proberaum mit, das Ganze ist dann so ein Gerüst und wir arbeiten zu viert oder mit unserem Produzenten daran.
Zum Beispiel "Butterfly" - der erste Song auf dem Album – bei dem hat es sofort geklickt. Als die Songskizze stand, haben wir den erstmal zusammen gespielt und wir wussten alle sofort, wo wir mit unseren Instrumenten hinwollen. Manchmal gibt es aber auch ein paar Songs, da steht dann zum Beispiel nur eine Strophe und wir müssen alles andere gemeinsam noch schreiben. Dann tüfteln wir wieder da dran.
Seid ihr da sehr selbstkritisch oder perfektionistisch?
Ich glaube, wir sind schon sehr selbstkritisch - wir hinterfragen immer alles, was wir machen. Und ob wir perfektionistisch sind? Vielleicht in der Hinsicht, dass es sich für uns unbedingt gut anfühlen muss. Wir beenden keinen Song, wo wir sagen: Der fühlt sich nicht für alle gut an. Das Gefühl zum Song muss auf jeden Fall stimmen. Wenn es nicht passt, werfen wir eben nochmal alles um und schreiben nochmal komplett neu. Aber es hat auch was, wenn ein Song Ecken und Kanten hat, weil dann entstehen auch manchmal Sachen, die man vielleicht gar nicht beabsichtigt hat, die cool sind.
Was ist denn der größte Unterschied zwischen dem Album und der EP?
Also das Album ist einen Schritt weiter als die EP. Es ist sozusagen die Fortsetzung. Zudem hat es einen ähnlichen roten Faden: Wir beschäftigen uns sehr viel mit Emotionen, Gefühlswelten oder Mental Health Struggles.
Aber es wird konkreter, was die Themen angeht. Bei "Vomiting Emotions" war das wirklich so: Es muss einfach alles raus und wir können es noch nicht so richtig verorten. Aber Hauptsache, man nutzt das Ventil. Bei „Coping Fantasies“ haben wir auch Songs dabei, die explizit depressive Episoden ansprechen oder Themen wie Sexismus und toxische Beziehungen.
Auch musikalisch wollten wir uns mehr trauen. Wir haben in den letzten Jahren so viel gelernt und wollten, dass man das merkt und eben alles ein bisschen größer klingt. Auch mit Hinblick darauf, dass wir das live spielen und wir eine geile Show haben wollen. An manchen Stellen soll es sogar dramatisch klingen und Leute viel fühlen lassen. Die Leute sollen während des Hörens das gleiche fühlen wie wir in diesem Prozess.
Ich habe es auf jeden Fall gefühlt, als ich mir das Album angehört habe. Um jetzt nochmal genauer auf die Songs einzugehen - bei "Heavenly" geht es vielleicht auch um Druck, oder? Der Song enthält die Zeile: "Heavenly I got the whole world in front of me - She’s pressing her weight all over me". Verspürt ihr als Musiker*innen auch einen gewissen Druck?
Also wir machen uns natürlich an manchen Stellen selbst ziemlich viel Druck. Wenn man seine eigene Kunst veröffentlicht, ist es natürlich immer so, dass man sich nackt macht und ehrlich sein möchte. Man will aber trotzdem, dass es gut ankommt. Da macht man sich selbst ein bisschen Druck.
Wir haben das Glück, dass es unser erstes Album ist und die Erwartungshaltung da noch nicht so groß ist. Die Leute sind erst mal gespannt, was wir präsentieren. Wir haben uns mit unseren ersten Singles und der EP zwar schon ein wenig vorgestellt, aber wenn das erste Album rauskommt, hast du plötzlich so ein Standing - dann nehmen die Leute dich als Band ernst. Ich glaube, ab jetzt könnte es beginnen, dass man etwas Druck erfährt. Die Leute sind jetzt gespannt, was wir daraus machen. Wir denken jetzt nicht direkt an nächste Veröffentlichungen, aber ich glaube, jetzt gilt es, die Leichtigkeit an dem Ganzen nicht zu verlieren und sich nicht so unter Druck setzen zu lassen.
Sexuelle Belästigung, Mental Health und Toxic Relationships
"Leave Me Alone" ist eine empowernde Hymne für FLINTA*. Ihr habt bei FluxFM gesagt, dass Maria und Svenja das Lied aus derselben Intention geschrieben haben und ihr zum ersten Mal die Vocals der anderen Person überlassen habt. Wie ist der Song entstanden?
Wir waren in Berlin und hatten einen unserer allerersten Auftritte dort. Es war der erste Sommer während der Pandemie, in dem wieder viele Leute draußen waren und man sich mehr treffen konnte.
Da waren wir recht spät nachts unterwegs. Svenja und Maria sind dann einen relativ kurzen Weg zu einer Toilette gelaufen und wurden von so vielen Männern unangenehm angesprochen und belästigt. Und das hat so eine Wut in Svenja ausgelöst, dass sie eben diesen Song angefangen hat.
Der Song war am Anfang auch noch mega ruhig und gar nicht so auf Krawall geschrieben. Aber das war nicht ganz, was sie wollte, und deswegen haben wir ihn dann gemeinsam umgeschrieben, sodass er eine richtige Rocknummer wurde. Bei der es wirklich darum geht, empowernd zu sein, alle FLINTA* zusammenzurufen und die Nacht wieder für sich zu beanspruchen. Maria hat eine sehr laute, krasse Stimme und deswegen meinte Svenja dann sie soll den singen. Jetzt ist er so, wie er geworden ist – eben auch mit Teamwork.
Das ist eine starke Message. Ich glaube, ich kenne traurigerweise auch keine FLINTA*, die noch nie in irgendeiner Weise irgendwie belästigt wurde. Deswegen ist es voll wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Wie waren die Rückmeldungen zu dem Song?
Wir haben da sehr viele positive Rückmeldungen bekommen - vor allem von betroffenen Personen, die nachts eben nicht so easy allein nach Hause gehen können. Die waren wirklich so: "Danke! Der Song gibt mir so viel Kraft und holt mir ein bisschen Mut zurück." Das war mega schön zu sehen, dass das, was dieser Song tun soll, wirklich funktioniert. Auch wenn wir den live gespielt haben, waren das immer so geile Momente. Man hat auch bei manchen Konzerten gemerkt, dass viele FLINTA* dann mit in den Moshpit gegangen sind und den Song mitgeschrien haben. Das ist dann ein gemeinsamer Moment und natürlich keine Lösung des Problems, aber in dem Moment fühlt man so viel Power.
"Es ist nicht mehr nur unsere Aufgabe allen Leuten zu sagen, dass da was falsch läuft."
Der Song hat unglaublich viel Power und ist so richtig "in your face". Was würdet ihr euch in Bezug auf dieses Thema von der Gesellschaft mehr wünschen?
Man hat langsam wirklich keinen Bock mehr. Seit Jahren versucht man aufzuklären und Awareness zu schaffen. Was auch wichtig ist, nur ist es jetzt an der Zeit, dass Nichtbetroffene da auch Aufmerksamkeit gewährleisten, zuhören und ihr Verhalten überdenken und reflektieren.
Also wenn du mit deinen Kumpels unterwegs bist und merkst, dass sich einer von denen scheiße verhält, dann sag denen das gefälligst. Es ist nicht mehr nur unsere Aufgabe allen Leuten zu sagen, dass da was falsch läuft. Es liegt an den Leuten, von denen eine Gefahr ausgehen könnte - dass die jetzt dran sind und ihr Verhalten ändern sollten. Es sollte ja auch in anderen Bubbles und nicht nur in unserer Kultur-Musik-Bubble aufgeklärt werden. Das wird eben immer noch belächelt und an den Arsch fassen ist immer noch ein Kompliment an vielen Stellen. Das darf einfach nicht sein und ist sexualisierte Gewalt.
Auf dem Album finden sich noch weitere wichtige Themen, wie Mental Health. In den Songs "Emergency // Freeze", oder "Nothing Left To Lose" geht es unter anderem um depressive Phasen. Was hilft dir, wenn es dir nicht so gut geht?
Erstmal zu akzeptieren, dass es gerade so ist und sich klarmachen, dass auch wieder eine bessere Phase kommen wird. Dass es okay ist, dass du jetzt in der Phase nicht so funktionierst, wie du es gerne wolltest. Dann fängt das echt an mit so Grundbedürfnissen, wie genug trinken oder schlafen und nicht bis drei Uhr nachts irgendwas auf Instagram zu gucken. Ich versuche gar nicht erst in diesen Strudel zu kommen. Vielleicht mal einen Spaziergang zu machen, wenn die Sonne scheint, denn das tut eben einfach gut. Und mit Menschen zu reden, sich nicht abzukapseln. Aber vor allem der Gedanke: Du bist nicht allein - das hilft mir. Du bist nicht die einzige Person, der es so geht. Von da aus kann man dann irgendwie versuchen weiterzumachen.
Ihr behandelt auch das Thema toxische Beziehungen, zum Beispiel in "Girl He Toxic" - möchtest du einmal erklären, worum es in dem Song geht?
Auf dem Album kommen die Songs "Girl He Toxic" und "Make Me Happy" nacheinander und behandeln eigentlich das gleiche Thema, aber aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. "Girl He Toxic" nimmt die Perspektive von einer außenstehenden Person ein, die sich die ganze Zeit anschaut, wie eine Freundin in dieser toxischen Beziehung steckt und sich in diese toxische Verhaltensweise reinbegibt.
Das soll so ein Wachschütteln sein, nach dem Motto: Du verdienst viel Besseres, du bist so wertvoll und eine fucking Queen. Du hast es nicht verdient, mit so einem Arschloch zusammen zu sein und dich in solchen toxischen Seilen zu finden. Das musst du nicht. Da gibt es Menschen, die sind lieb zu dir und schätzen dich. Du musst nicht genau mit dieser Person zusammen sein. Und das kann schon auch empowernd sein, dass man diesen toxic ass so belächelt. Ich meine, warum sind Personen einfach so scheiße zu Leuten, dass sie die manipulieren? Das ist lächerlich. Die Person ist wertvoll und die muss das nicht. Die hat was Besseres verdient. Und darum gehts.
Auf Coping Fantasies ist auch noch der Song "Utopia" zu finden. Was wäre deine persönliche Utopie, also deine Traumwelt?
Ich glaube in meiner Traumwelt gehen die Leute so miteinander um, wie in meinem Umfeld. Wir sind in meiner Bubble mega wertschätzend miteinander. Natürlich gibt es da auch mal Konflikte - was menschlich ist - aber wir wissen im Grunde, dass wir nur das Beste füreinander wollen. Und das finde ich, ist extrem wichtig im Umgang miteinander, mit anderen Menschen. Also, dass einfach alle Menschen lieb miteinander sind und sich nichts Böses wollen. Es ist doch viel einfacher, wenn man irgendwie wertschätzend miteinander umgeht. Das heißt nicht, dass alle Menschen best friends sein müssen - überhaupt nicht. Aber dass man sich begegnet mit dem Gedanken "Ich will nur Gutes für dich“. Und rein optisch könnte von mir aus auch allen bunt, blumig und farbenfroh sein. Am besten alles ganz weich, dass man sich nirgendwo wehtun kann.
Am besten auch in den Farben eures Albumcovers. Das wäre natürlich auch schön (lacht).
Das geht so in die Richtung (lacht)!
Abschließend würde ich noch gerne wissen, welcher Song der Platte dein Favorit ist?
Ich glaube ich habe ein Herz für "Utopia". Immer, wenn wir den wieder gehört haben, hatte ich Tränen in den Augen. Der berührt mich einfach richtig. Es ist natürlich immer schwierig ein "baby" auf der Platte zu finden, weil man zu allen Songs eine persönliche Verbindung hat. Aber hey - "Utopia" hat mich wirklich lange zum Heulen gebracht – das bedeutet was (lacht)!
Coping Fantasies wurde am 10. Februar via Beton Klunker veröffentlicht.
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