Samstagabend in Köln: Eine riesige Schlange steht vor dem Club Bahnhof Ehrenfeld und hofft darauf, noch eingelassen zu werden. Alle wollen zu Paula Hartmann, die dort im Rahmen des c/o pop Festivals ihr erstes eigenes Konzert spielt. Sie können es kaum abwarten, der Newcomerin ihre herzzerreissenden Zeilen entgegen zu schreien. Denn die schreibt sie wie keine andere.
Perfekter Karrierestart
Erst vor drei Wochen hat Paula ihr Debüt-Album Nie Verliebt veröffentlicht, nichtmal ein Jahr nachdem ihre erste Single erschienen ist. Die trug ebenfalls den Namen "Nie Verliebt" und hat Paula direkt zum bekanntesten Geheimtipp der deutschen Musikszene gemacht. Spätestens nach ihrem zweiten Release "Truman Show Boot" hat sie mit der Zeile "Wo fällt die Liebe hin? Wo muss ich stehen um sie zu fangen?" auch den letzten Skeptiker um den Finger gewickelt und Rap-Ikonen wie Haftbefehl und Casper, der Featuregast auf dem Album ist, outeten sich als Fans. Wenn das mal kein perfekter Karrierestart ist.
Dabei hat Paula sich eigentlich schon eine andere Karriere aufgebaut: Seit sie sechs Jahre alt ist, arbeitet sie als Schauspielerin und stand in Filmen wie Alle Anderen, Einfach die Wahrheit oder im Kinohit Der Nanny mit Matthias Schweighöfer vor der Kamera. Das Feuer für die Musik brannte schon damals in der Berlinerin - sie hat Gedichte geschrieben und gerne gesungen - nur der Mut dazu hat Paula gefehlt. Das Schauspielern hat in der Schulzeit für genug ungewollte Aufmerksamkeit gesorgt, da wollte sie nicht zusätzlich auch noch mit der Musik anfangen.
Schritt in die Musik
Dann ist Paula aber irgendwann nach Hamburg gezogen, um dort Jura zu studieren. Der Umzug in die neue Stadt war ihr Schritt in die Musik. Dort hat Paula eine Freundesgruppe gefunden, die die Musik in ihr wieder geweckt und sie dazu ermutigt hat, sich auszuprobieren. Sie beginnt erst hier so richtig mit Songwriting, lernt ihr Management kennen und knüpft Kontakte zu Biztram, ihrem Produzenten. Der hat schon mit Künstler*innen wie LEA, Prinz Pi oder K.I.Z zusammengearbeitet und war für Paula das letzte Puzzleteil, das gefehlt hat, bis sie komplett in ihre Musik versinken konnte. Mit ihm gemeinsam hat sie an Nie Verliebt gearbeitet, das sie nun in Köln zum ersten Mal live spielt.
Das erste Konzert
Als Paula zu "Seidenkleid" die Bühne betritt, die Menge sich zu "Kugeln im Lauf" den Herzschmerz aus der Seele schreit und alle zu "Truman Show Boot" ihr Feuerzeuge in die Höhe strecken, wird klar, warum Paula so durch die Decke geht. Sie findet Worte für die Gefühle einer ganzen Generation. Paula beschreibt ihre Musik sehr treffend als modernes Märchen in der Großstadt. Das Cover des Albums ziert passend dazu ein liebevoll gestaltetes Bild aus Sternentaler, inspiriert von Kassetten aus der Kindheit - da fühlt man sich direkt geborgen.
Melancholische Momentaufnahmen
Paula schreibt unfassbar intelligente Texte, zaubert uns mit ihren Zeilen einen Film in den Kopf. Gepaart mit der zerbrechlichen, warmen Stimme und der düsteren Atmosphäre verleiht sie den Songs eine melancholische Schwere, die Mitten ins Herz trifft. "Spring auf der Titanic, schau dich an und frag dich, wann sie endlich untergeht / Ich will, dass du deine Hand in meine Wunden legst" oder "Typ an der Bar, mein Anästhesist" in "Fahr uns nach Hause" sind nur ein Bruchteil der Lyrics, die wie ein Pfeil unter die Haut schießen. In "Seidenkleid" konnte Paula mir mit der Zeile "Heut fühlt sich erwachsen sein erwachsen an / bisschen unsicher, bisschen arrogant" sogar ein kleines Schmunzeln entlocken, obwohl die Platte sonst nur so von triefender Traurigkeit überschwemmt wird.
Wenn man die einzelnen Songs als Ganzes betrachtet, drehen sie sich alle um dieselben Themen: jugendliche Verlorenheit, lange Nächte und natürlich die Liebe. Aber durch die eigentlich alltäglichen Beobachtungen, denen Paula einen präzisen Twist verleiht, kann sie damit ein ganzes Album füllen. Besonders deutlich wird dieses Talent in "Veuve", meinem persönlichen Favoriten der Platte. Sie singt davon, sich fehl am Platz zu fühlen, überfordert und ausgebrannt zu sein und das mit einer Eindringlichkeit, die seinesgleichen sucht.
Fühl mich wie Leitungswasser in 'nem teuren Glas / Kalender voll mit Menschen, die ich eigentlich gar nicht mag / Neunzehn, aber Workload zweimal nine-to-five / Bettwäsche aus Lein, aber zum Schlafen keine Zeit
Paula Hartmann in "Veuve"
Als ich während des Konzerts so durch die Menschenmenge blicke, sehe ich nur strahlende Gesichter. Die Crowd ist textsicher - zumindest in den Refrains, aber hier dafür sehr enthusiastisch. Es ist auch für Paula das erste Mal, dass sie die Reaktion auf die Tracks ihres Albums sieht. Vorher konnte sie nur erahnen, welche Bedeutung ihre Musik für das Publikum hat, jetzt kann sie sich sicher sein, dass sie alles richtig macht.
Paula gibt der Jugend einen Platz für Traurigkeit. Mit Nie Verliebt hat sie ein Coming of Age-Album geschaffen - für eine Generation , die sich planlos, einsam und überfordert fühlt.
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