Lissy Feys Musik ist wie eine Umarmung. Auf ihrem Debütalbum Da wo ich herkomm legt sie ihre warme Stimme sanft auf die aufwühlenden Momente des Lebens, nimmt Abstand von ihrem Zuhause, das trotz der ländlichen Weite auch mal einengen kann, und findet dennoch wieder zurück. Ich habe Lissy online zum Interview getroffen. Wir haben über das Aufwachsen auf dem Land, Freundschaft und den Mut, aufzugeben, gesprochen - aber natürlich auch über das Album.
Wie geht es dir? Bist du schon aufgeregt vor dem Release?
Gerade bin ich relativ entspannt, freue mich aber sehr und find's noch sehr unrealistisch, dass das Album jetzt bald alle hören. Dadurch, dass das Crowdfunding jetzt abgeschlossen war, ist vor Weihnachten erstmal eine Riesenlast abgefallen und das war schon ein großer Erfolg. Dadurch hab ich schon einige Alben rausgeschickt und weiß, diese Leute hören's jetzt schon. Aber es ist natürlich was anderes zu wissen, dass das dann auf Streaming-Plattformen veröffentlicht wird und jeder und jede es hören kann. Du hast dir für die Finanzierung des Albums Unterstützung durch Crowdfunding geholt. Kannst du uns mal auf die ganze Reise vom Beginn der Idee bis hin zum Entschluss, ich hol mir jetzt finanzielle Hilfe, mitnehmen? Wie schwer ist es dir gefallen, fremde Menschen um Hilfe zu bitten?
Das kam dadurch, dass viele der Dinge so einen DIY-Charakter hatten - also die Platte mit Freunden aufzunehmen und gar nicht auf große Namen oder ein Label zu setzen. Ich und die Leute, die ich kenne, hatten das nötige Know-How und damit kam es dann relativ schnell zur Überlegung, wie wäre es denn, das auch selbst zu finanzieren - so gut es eben geht.
Der erste Teil wurde finanziert über ein Stipendium von Nordrheinwestfalen und der zweite Teil dann über das Crowdfunding. Da dachte ich einfach, ich probiere das und taste mich da ran. Letztlich hat dann alles hingehauen, aber auch da war's viel learning by doing. Ich hätte auch viel eher anfangen können - ich war halt schon viel weiter mit der Produktion, als man das normalerweise macht; die CDs waren schon im Presswerk und so. Das war halt alles ein bisschen anders und mit mehr Risiken verbunden, aber ich dachte, das wird schon irgendwie hinhauen.
Du hast ja Popgesang und Klavier studiert, dort lernt man bestimmt auch viel Theorie. Wie schafft man es, trotzdem nicht das Gefühl zu verlieren?
Dadurch, dass ich schon schreibe, seit ich 12 bin, war da zuerst das intuitive Schreiben und das Singen, das nie eine Technik hatte, sondern immer aus dem Bauch heraus kam. Erst viel später hab ich mich dazu entschieden, doch Musik zu studieren. Dadurch war das mehr so ein Wunsch nach: "Okay, ich schreib meine Songs, ich hab auch so eine Idee, wie das klingen soll, aber was mir fehlt sind manchmal Dinge, die ich mir im Kopf vorstelle, die ich aber technisch nicht umsetzen kann". Damit war mein Ansatz relativ konkret. Trotzdem hab ich natürlich viele Sachen dazugelernt, von denen ich jetzt nicht geplant habe, sie zu lernen. Klar gab es auch Phasen, in denen du dann in einem akademischen Denken bist. Ich habe auch Sachen ausprobiert, die sich mehr von dem, was ich ursprünglich machen wollte, entfernt haben. Das hat aber auch Spaß gemacht. Aber mittlerweile, vor allem durch das Album, bin ich so ziemlich zu dem zurückgekehrt, was aus mir als Künstlerin heraus kommt. Eigentlich kommst du aus der Klassik. Wieso sitzt du denn jetzt nicht in einem Orchester, sondern schreibst Popmusik?
Ich mag die Klassik immer noch gerne. Ich war auf einem Internat, dem Landesmusikgymnasium Montabaur, und da war der Schwerpunkt ganz klar bei der Klassik. Aber das war geprägt von viel Selbstdisziplin und Wettbewerben, was mir auch größtenteils Spaß gemacht, aber natürlich auch viel Konkurrenzdruck ausgelöst hat. Als Ausgleich dazu kam eben das Schreiben von eigenen Songs. Die Popmusik hab ich immer als Raum erlebt, der relativ wertfrei war und das hat mir gut getan.
Da wo ich herkomm ist dein Debütalbum, in dem es unter anderem über Heimat geht. Du bist auf dem Land aufgewachsen. Da kann man zwar super für sich alleine Musik machen und vielleicht in der Blasmusik spielen, aber es gibt weniger Netzwerke unter Musiker*innen wie in Großstädten. Fühlt es sich für dich, aus der Sicht einer Musikerin, an wie ein Privileg oder Nachteil, auf dem Land aufgewachsen zu sein?
Schwer zu sagen, in diesem Ort bei meinen Eltern war einfach weniger los, deswegen saß ich halt in meinem Zimmer und habe an meinem Keyboard irgendwas gespielt und dazu gesungen und konnte mich damit schon lange beschäftigen.
Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn ich in einer Stadt groß geworden wäre, aber dieses Gefühl von Freiheit, diese Weite, die bei meinen Eltern zu Hause auf dem Land ist, hat mir zumindest schon ein gutes Gefühl gegeben, Ideen sprudeln zu lassen. Ob das jetzt ein Privileg oder Nachteil ist… Ich glaube schon, dass es auch wichtig ist irgendwann rauszukommen und Austausch mit Gleichgesinnten zu finden. Dann kommen wir mal zu den einzelnen Songs. In "Da wo ich herkomm" singst du von deinem Zuhause, deinen Schwestern und dass du von dort aber auch einfach mal abhauen musst. Warum? Wohin treibt es dich in diesen Momenten?
Ich durfte als Kind viel reisen und bin zum Beispiel auch nach meinem Abitur für ein Jahr in Bolivien gewesen und hab da einen Freiwilligendienst gemacht. Wenn ich irgendwo reisen war, hatte ich das Gefühl, dass man immer, wenn man woanders ist, meint was über das Land zu lernen, aber eigentlich lernt man viel mehr über das eigene Land oder den Ort, wo man herkommt und über sich selbst.
So erlebe ich das bis heute in Alltagssituationen: Dass ich weniger weit weg reisen, aber immer mal wieder Abstand nehmen muss von Dingen, um zu sehen, was das eigentlich ist. Also ob das jetzt ein objektiverer Blick ist auf ein Problem oder eine Lebensentscheidung und sich ein bisschen davon zu distanzieren und rauszuzoomen, zu gucken, ist das jetzt das Richtige für mich. So empfinde ich das auch mit Beziehungen: Dass ich die Distanz gar nicht als negativ empfinde, sondern manchmal auch als sehr gesund, um wieder Erkenntnisse zu gewinnen, woher komme ich eigentlich, wer bin ich und warum ist das manchmal so kompliziert.
In "Grenzen" schilderst du einen sexuellen Übergriff. Warum hast du sich entschieden, so einen Song auf das Album zu packen? Hast du den Song primär zur persönlichen Verarbeitung geschrieben oder auch für andere, die sich damit dann vielleicht weniger alleine fühlen?
Ursprünglich habe ich den Song gar nicht auf der Platte gesehen, also das war tatsächlich nur das, was er jetzt auch auf dem Album ist: diese Wiederholung dieser vier Zeilen. Gemeinsam mit Timo Xanke, der mit mir das Album produziert hat, ein guter Freund von mir, hab ich dann aber schon gemerkt, okay, der hat irgendwie eine wahnsinnige Kraft. Das ist natürlich auch ein Song, der sehr viele unangenehme Gefühle in einem auslösen kann, aber ich fand das irgendwie wichtig, weil mich das selber so beschäftigt hat. Also das ist kein autobiografischer Song, aber ich hatte mit jungen Leuten zu tun, die mir von ihren Erfahrungen enthält haben und das hat mich lange bewegt und das wollte dann irgendwie raus. Das Künstlerische dahinter, den vielen unterschiedlichen Situationen, in denen sowas passieren kann, wollte ich Ausdruck verleihen, indem diese Wiederholungen immer anders klingen und dass das Wiederholte eigentlich das Tragische ist. "Immer noch" ist mein liebster Song der Platte, weil ich mich nach dem Abi gerade in einer Zeit befinde, in der viele Freundschaften auf die Probe gestellt werden. Was denkst du, ist das Geheimnis einer langen freundschaftlichen Fernbeziehung, wie sie in "Immer noch" erzählt wird?
Also für mich ist das schöne, wenn ich Freund*innen hab, mit denen schon so lange in Beziehung stehe, das Gefühl, wenn ich merke, ach cool, wir sind uns vertraut, aber da ist trotzdem Platz, dass ich mich weiterentwickeln kann und verändern darf und auch genauso, dass die andere Person sich verändern darf. Man braucht auch bestimmte Gemeinsamkeiten und Dinge, die einen verbinden, das spielt eine große Rolle bei Freundschaften, aber irgendwann wächst immer mehr das Vertrauen, wenn Dinge sich verändern, aber wir stehen das Ganze durch und merken anschließend, wir sind immer noch aneinander dran. Das macht eine Freundschaft irgendwie aus, dass man immer zurückblickt und sagt, krass schon 20 Jahre und das ist irgendwie schön, dass wir uns unterwegs nicht verloren haben und zugelassen haben, dass sich Dinge verändern.
Kommen wir mal auf "Gold" zu sprechen. Der Song hat mich ehrlich gesagt aus feministischer Perspektive ein bisschen verwirrt. Kannst du vielleicht den Hintergrund zur Geschichte erzählen?
Das ist witzig, du bist damit auf jeden Fall nicht allein. Mich hat er auch lange irritiert. Wenn ich Songs schreibe, ist es oft so, dass ich dasitze und gar nicht wirklich einen Plan habe, sondern irgendwas aufschreibe und denke, von daher geht's irgendwie weiter und dann passieren Worte einfach oft.
Wenn ich mir heute Songs anhöre, erkenne ich voll viele Sachen oder sehe immer wieder andere Gedanken, die ich da vielleicht auch dahinter hatte. Also ich verstehe meine eigenen Songs auch erst danach.
Bei "Gold" war dieser Refrain recht schnell da und dann dachte ich: Krass, ich singe jetzt gerade "du bist Gold, du wertest mich auf" und so und hab dann aber gemerkt, dass das glaub ich was ist – weil, ich stell mir am ehesten eine heterosexuelle Beziehung vor - ich habe dort schon in Teilen das Gefühl, der Mann spielt jetzt eine größere Rolle und die Frauen akzeptieren das so. Ich hab das schon bewusst zugespitzt und gesagt, die Frau, die "opfert" sich und sagt, du wertest mich auf und so weiter.
Die Herausforderung bei der Nummer war eigentlich die Interpretation. Also wie schaffe ich es, das nicht mit einem erhobenen Zeigefinger zu machen oder mit so 'nem "Gott, wie ekelhaft, dass du dich so in einer Beziehung verhältst und dich so klein machst", weil ich auf jeden Fall weiß, dass ich auch Anteile davon in mir trage. Deswegen war mir vor allem wichtig, den Song solidarisch zu singen und nicht von oben herab. In "Komm heim" kommst du wieder auf das Leitthema des Albums zurück, aber sprichst noch etwas ganz anderes an: das es okay ist, aufzugeben. Die letzte Zeile sticht da besonders raus: "Ich hoff dir ist klar, du kannst heute das eine und morgen alles sein". Kannst du den Gedanken noch weiter ausführen?
Die Zeile mag ich auch sehr. Ich zumindest hab das so erlebt, dass ich in bestimmten Zeiten in meinem Leben gedacht habe, um zu erfahren, wer ich bin, muss ich reisen oder eben Erfahrungen machen - was auch irgendwie stimmt, aber dieses "ich muss irgendwo hin, um was zu sein" hat sich für mich irgendwann entpuppt.
Ich nehme mich ja überall hin mit. Also egal, wo ich bin, ich kann mich schon hier jetzt entfalten oder entscheiden, ich mach das jetzt. Ich finde das so schön, wenn Menschen die Freiheit in sich tragen zu sagen, ich geh jetzt der Idee nach, auch wenn ich schon über 50 bin oder auch wenn ich schon das dritte Studium hinter mir habe. Deswegen finde ich das so wichtig, Leute zu bestärken und mich genauso: du kannst heute das eine und morgen alles sein. Du kannst dich immer wieder neu entscheiden und du trägst das alles schon bereits in dir, du musst nicht irgendwas getan oder erlebt haben oder irgendwohin gereist sein, um was wert zu sein, sondern das bist du bereits alles. Auch wenn diese Erfahrungen irgendwas auslösen, ich hab das auch gebraucht und lieb das bis heute Erfahrungen zu machen und was zu lernen. Aber dass man sich selbst nicht einschränkt zu denken, ich bin eben dies und jenes, sondern, vielleicht bin ich auch noch mehr.
Du kannst heute das eine und morgen alles sein
Du bezeichnest den ganzen Albumprozess als eine Reise. Was hast du denn auf dieser Reise, auch wenn sie gerade erst so richtig anfängt, gelernt?
Also das mit diesem Bild der Reise ist glaube ich ein recht gängiges Bild, weil sich vieles einfach oft so anfühlt. Die Songs auf dem Album sind Stationen meines Lebens – die sind nicht alle im letzten oder vorletzten Jahr entstanden, manche sind schon viel älter und so stehen die für mich auch wirklich für diese Reise mit den Jahren.
Was ich gelernt habe, ist vor allem, dass ich viel mehr selber machen kann, als ich dachte. Ich bin viel selbstständiger als Künstlerin, ich hab total viel selbst produziert. Das waren Dinge, die ich vorher noch nie gemacht habe und die mir nochmal viel Eigeninitiative gezeigt haben. Timo Xanke, der gute Freund von mir, der das mit mir produziert hat, hat mir sehr viel gezeigt und ich bin ihm super dankbar dafür.
Darüber und über viele andere Leute, die ich einfach gefragt habe, durfte ich viel lernen. Ich habe gelernt, dass Songs sich für mich viel näher und echter anfühlen, wenn sie reduziert sind. Was wünscht du dir für das Album?
Also je mehr Leute das hören und je mehr Menschen sagen, krass, das hat das und das mit mir gemacht oder es hat dies und jenes in ihnen ausgelöst, freu ich mich natürlich umso mehr. Trotzdem sag ich jetzt nicht: wenn es nur so und so viele Leute hören, dann hat es sich nicht gelohnt oder sowas, auf gar keinen Fall. Für mich lässt sich das schwer an Zahlen messen. Aber ich wünsche mir, dass ich die Songs mit Band live spielen kann - hoffentlich im nächsten Jahr, dieses Jahr halte ich das für unrealistisch. Ich hab Lust darauf aufzubauen; also das ist jetzt der erste Schritt und ich bin jetzt in der Lage daran anzuknüpfen und zu sagen, ja, das ist die Richtung und jetzt gucken wir mal, wo uns das hinführt. Dann wünsche ich dir, dass diese Wünsche in Erfüllung gehen und ganz viel Erfolg damit!
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