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AutorenbildKaja

Jules Ahoi über Bauhaus, Sehnsuchtsorte und ChatGPT

Einsame Hütte im Wald, teures Studio in Berlin oder das klassische Songwriting-Camp. Musiker*innen lassen sich immer wieder neue Orte für den perfekten Schreibprozess einfallen. Jules Ahoi ist dafür in eine Künstlerresidenz im Weltkulturerbe Bauhaus Dessau gezogen. Einen Monat lang lebte er dort im alten Meisterhaus des Malers, Typografen und Bühnenbilders Lázló Moholy-Nagy, um sein neues Album MAGNOLIA (The Bauhaus Tapes) zu schreiben, das gestern erschienen ist. Kaja hat sich mit ihm zum Interview getroffen, um mehr über diese außergewöhnliche Entstehungsgeschichte zu erfahren.

Jules Ahoi Pressefoto
Foto: Frederike Wetzels

Dein Album heißt MAGNOLIA (The Bauhaus Tapes). Wie kam es dazu, dass du das Album im Bauhaus in Dessau aufgenommen hast?

 

Jules: Ich lag abends im Bett und hab durch mein Handy gescrollt. Ich habe Design studiert und folge da entsprechend vielen Seiten, unter anderem auch dem Bauhaus. Da habe ich gesehen, dass die eine Künstlerresidenz ausgeschrieben hatten - erstmalig nicht nur für bildende Künstler, sondern auch für darstellende Kunst. Da hab ich mir gedacht, das ist meine Chance und hab mich da mit einem kleinen Konzept beworben. Daraus ist dann am Ende gar nicht so wirklich was geworden, sondern ich habe mich eher auf die Räume und die Zeit dort eingelassen.

 

Was war denn dein ursprünglicher Plan?

 

Jules: Jetzt, wo ich darüber nachdenke, habe ich das am Ende doch irgendwie gemacht. Ich wollte mich eigentlich damit beschäftigen, wie man den Konzertbegriff erweitern kann. Diese Beziehung zwischen Publikum und Künstler*in auf der Bühne ist relativ einseitig. Das wollte ich auflösen. Im Rahmen dieser Residenz habe ich viel geschrieben, in den Räumen rumgesessen und die Stimmung aufgenommen und habe gedacht: Wie schön wäre es, wenn die Leute mitbekommen würden, wie dieser Song entsteht. So kam die Idee, dass die Leute, während ich das fertige Produkt beim Konzert präsentierte, durch die ursprünglichen Lyrics durchlaufen könnten. Die ganzen Wege, die man eingeschlagen hat, und auch die Fehlversuche, die Schreib- oder Logikfehler sind ja am Ende alle gar nicht erkennbar. Das ist aber doch das Interessante an einem Album oder einem Song.

 

Wenn mit dem Endprodukt schon alles erzählt wäre, würden wir auch dieses Interview nicht führen.

 

Jules: Ja, jetzt fällt mir gerade wieder ganz viel ein. Das ist mir dann alles irgendwie zugeflogen. Auf dem Weg nach Dessau habe ich an einem Sperrmüllhaufen eine Schreibmaschine gefunden. Den ganzen Monat, den ich dort gewohnt habe, habe ich alle Lyrics auf dieser Schreibmaschine geschrieben. Ich habe dort auch richtig schönes vergilbtes DDR-Papier gefunden, teilweise noch mit den Namen der Besitzer von vor 50 Jahren. Davon habe ich alles aufbewahrt und dann am Ende an Schnüre gebunden und die verschiedenen Stadien der Lyrics ausgestellt.

 

Du wolltest dich bewusst mit Bauhaus auseinandersetzen. Was bedeutet Bauhaus für dich?

 

Jules: In den 20er Jahren war das etwas total Avantgardistisches und Abgedrehtes, die Leute haben das gar nicht verstanden. Dieser Stil und die Philosophie dahinter beeinflussen uns einfach bis heute – nicht nur was das Bauen betrifft, sondern die ganze Herangehensweise an Kunst und Design. Eigentlich ist da der heute der heutige Designbegriff erst entstanden: Die Verbindung zwischen Handwerk und Kunst. Da wurde extrem viel Tolles geschaffen, was mich irgendwie berührt.

 

Das hat auch etwas Mystisches. Als ich das erste Mal abends durch Dessau gefahren bin, stand da die Schule hellbeleuchtet wie so ein UFO - nicht mehr auf der freien Wiese, die Gropius damals beschrieben hat, aber es ist trotzdem beeindruckend. Nach wie vor ist es einfach sehr traurig, dass die verfluchten Nazis das alles in Grund und Boden gestampft haben. Ich glaube, wäre das nicht passiert, wäre Deutschland designtechnisch heute nochmal auf einem ganz anderen Level.

 


Deine Musik ist immer sehr stark mit Orten verbunden. Erst das Van-Life, dann auf DEAR_ die Urbanität und hier jetzt das Bauhaus. Inwiefern beeinflusst deine Umgebung deine Musik?

 

Jules: Zu hundert Prozent. Alles, was ich erlebe, beeinflusst mich. Ich beschreibe mich gerne als Menschen, durch den die Welt einfach nur so durchfließt. Ich versuche diese ganzen Eindrücke zu verschriftlichen und in die Musik zu übersetzen. Etwas, was mich aber fast noch mehr beschäftigt, sind Orte, die ich noch nicht besucht habe. Wenn ich irgendwo hin möchte und nicht kann (lacht). Also dieser Sehnsuchtsgedanke ist auch immer sehr präsent bei mir.

 

Das ist auf diesem Album bei "Ålesund" der Fall. Das ist der Ort, den ich auf meiner Norwegenreise nicht erreicht habe. Auf dem letzten Album war es "Oviedo", da war ich auch nie. Da hab ich immer nur die Schilder gesehen und mir gedacht, das klingt so toll, ich muss da unbedingt mal hin. Das befeuert meine Fantasie.

 

Was geben dir diese Orte denn, wenn du nicht mal dort warst, dass du ihnen trotzdem einen Song widmest?

 

Jules: Die Erwartungen an Orte werden ja meistens überhaupt nicht erfüllt. Dieses Erstreben ist manchmal das schönere, als wirklich da zu sein.

 

Sozusagen ein mentaler Zufluchtsort?

 

Jules: Ich habe eine ziemlich negative Erfahrung gemacht, in dem ich meinen Hauptwohnsitz nach Frankreich verlegt habe. Ich habe zweieinhalb Jahre am Meer gewohnt und gemerkt, dass ich da überhaupt nicht klarkomme. Also ich fand es immer wahnsinnig schön, dahin zu fahren und Urlaub zu machen. Als ich da gewohnt habe, habe ich gemerkt, scheiße, jetzt habe ich gar keinen Ort mehr, wo ich Urlaub machen kann. Das hat mich wahnsinnig krass beeinflusst, weil da wirklich ein Traum zerplatzt ist. Das war über zehn Jahre lang ein erstrebenswertes Ding für mich, am Meer zu wohnen und jeden Tag über die Dünen zu laufen und surfen zu können. Dann war ich dort und hab gemerkt, ich will da gar nicht permanent leben. Ich wohne lieber in Köln und wenn ich mal ausbrechen will, fahr ich ans Meer.



Dann sprechen wir mal genauer über MAGNOLIA (The Bauhaus Tapes). Dieses Album ist sozusagen der Inbegriff der Interdisziplinarität. Du schreibst Musik in architektonisch bedeutenden Gebäuden, in denen die Meister fotografiert und geschrieben haben. Wo ordnest du dich denn selbst in der Kunst ein?

 

Jules: Ich habe mich noch nie wirklich als Musiker gesehen, sondern eigentlich immer eher als Schreiber oder Autor. Ich habe auch nie vernünftig ein Instrument gelernt und mir das alles selbst beigebracht. Zum Beispiel würde ich niemals behaupten, ich könnte Gitarre spielen. Ich kann ein paar Akkorde und auch ein bisschen Fingerpicking, aber das war’s. Mein Fokus lag schon immer auf dem Inhalt meiner Texte, dass das vernünftig ist und mir aus der Seele spricht. In dem fühle ich mich zu Hause. Die Texte sind auch das verbindende Element bei allen Dingen, die ich mache: Sowohl in der Musik, als auch in meinem Studium, ist immer das geschriebene Wort der rote Faden. Ich vertone immer eher meine Texte, als dass ich Musik schreibe und dann den passenden Text dazu finde.

 

Das Album ist in drei Teile, sozusagen drei Akte, gegliedert. Was trennt die voneinander?

 

Jules: Die muss man gar nicht so getrennt betrachten. Ich wollte kein homogenes Album machen, das durch Abwechslung besticht, sondern es in Kapitel oder Phasen aufteilen. Die sind eben durch diese Interludes getrennt. Es beginnt etwas Bauhaus-lastig, dann wird es sehr abgedreht und am Ende wird es etwas elektronischer. Da wollte ich einen Ausblick geben, in die Richtung, in die ich aktuell experimentiere. In den letzten Jahren habe ich mich hauptsächlich um Gefühle gedreht und die poetisch verpackt und aktuell probiere ich mehr, wirklich Geschichten zu erzählen. Es hat sich nicht richtig angefühlt, diese Phasen miteinander zu vermischen und war ein Versuch, ein bisschen konzeptuell zu denken.

 

Würdest du sagen, es ist ein Konzept-Album?

 

Jules: Ich glaube schon. Ich habe immer ein bisschen Angst vor dem Begriff, weil es schon ein bisschen verpönt ist. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es sei keins. Dieser Bauhaus-Begriff steht allein schon im Titel, das zieht sich durch das ganze Album durch und ist auf eine Art auch der Ursprung des Albums. Es war auch eine interessante Herangehensweise, nicht nur viele Songs zu sammeln und dann am Ende die passenden Songs auszusuchen, sondern ganz zielgerichtet zu schreiben.



Im ersten Akt befindet sich "Magnolia". Das war der letzte Song, den du im Bauhaus für das Album geschrieben hast. Du hattest dort nur eine begrenzte Zeit, bis du wieder ausziehen musstest. Wie kommst du damit klar, eine Deadline für deine Musik zu bekommen?

 

Jules: Ich muss gestehen, ich habe dort nicht alles fertiggeschrieben. Größtenteils schon, aber da waren sie noch nicht ansatzweise in dem Zustand, in dem sie jetzt sind. Ich habe dann alles in meinem Studio in Köln selbst produziert und da ist schon noch einiges passiert. Aber diese Stimmung habe ich eben mitgenommen und die Texte waren zum Großteil fertig. Ich habe im Bauhaus noch ein Abschlusskonzert gespielt, mit einer Vernissage, bei der die Texte ausgestellt wurden, und da haben wir das erste Mal Musik dazu komponiert. Das war erstaunlicherweise ziemlich ähnlich zu dem, wie es jetzt klingt.

 

In Songs wie "Icarus" oder "ALLNOTHINGEVERYTHING" findet man einige Referenzen. Gehst du aktiv auf die Suche nach Referenzen oder fliegen die dir im Schreibprozess zu?

 

Jules: Die "Icarus"-Idee hatte ich eigentlich seit dem Tod meines Vaters. Ich war allerdings die letzten fünf Jahre noch nicht bereit dafür. Ich habe immer ansatzweise versucht, in die Wunde reinzugraben, mich dann aber nicht weiter getraut. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass die Zeit reif ist, zumindest mal anzufangen, das für mich selbst aufzuarbeiten. Im Bauhaus hatte ich sehr viel Zeit nachzudenken: Das sind riesige leere Räume, in denen maximal ein Stuhl drin steht. Ich hatte nichts außer meine eigene Stimme und das Licht von außen, das dieses Haus gefüllt hat. Da habe ich mich dann an diese Idee herangewagt.

 

Bei "ALLNOTHINGEVERYTHING" war es ähnlich. Es gibt einen Meister, László Moholy-Nagy, den fand ich immer am coolsten. Der hat unter anderem Lichtmodulatoren gebaut und sich mit Fotografie und dem Einfangen von Stimmungen befasst. Ich konnte mich an diesem Ort so sehr in seine Gedankengänge hineinversetzen. Dann habe ich ein bisschen recherchiert und herausgefunden, dass er auch sehr viel geschrieben hat. Da habe ich letztendlich ein Gedicht namens "Lichtvisionen" gefunden und das habe ich auf dem Song sozusagen neu interpretiert.

 

In "RevolutionTM" wird es etwas dystopisch. Wovor machst du dir Sorgen in der Zukunft bezüglich der Musik?

 

Jules: Wir haben total verlernt, dass Musik einen Preis hat. Eine gekaufte LP ist das Äquivalent zu siebentausend Streams, das ist erschreckend. Seit der Pandemie kannst du auch kein Geld mehr mit Konzerten verdienen und Merch verkaufen, lohnt sich eigentlich auch nicht, wenn du keine Gildan-Shirts für 35 Cent Einkaufspreis verwenden willst. Wenn der einzige Weg, als Musiker seinen Lebensunterhalt zu verdienen, staatliche Förderung ist, machst du dich einfach extrem abhängig. Dann wird es irgendwann niemanden mehr geben, der seine Meinung in Musik verpackt. Diese Vorstellung ist grauenhaft.

 

Den Song hast du mithilfe von Chat GPT geschrieben. Wie schwierig war es, dem Programm etwas systemkritisches zu entlocken?

 

Jules: Das hat schon echt gedauert, da habe ich tagelang dran gesessen. Schlussendlich hat es nicht richtig funktioniert. Ich habe dann selbst noch sehr viel Hand angelegt, da der Songtext schon sehr viele Logikfehler hatte. Aber ich würde behaupten, wenn man nicht unbedingt einen systemkritischen Song schreibt, sondern 0815-Liebeslieder, ist das schon problemlos machbar. Dann braucht man nur noch eine KI, die das Beste aus allen Taylor Swift Instrumentals rausholt. Ich glaube, damit könntest du sehr leicht einen Chart-Hit landen.

 

Dann enden wir hiermit etwas hoffnungsloser als sonst. Eine letzte Frage hab ich noch: Du meintest, das Ende des Albums gibt eine kleine Vorschau auf die Richtung, die du weiter entdecken möchtest. Weißt du schon, wie dein nächstes Album klingen wird?

 

Jules: Kann ich leider noch gar nicht sagen. Ich bin zwar schon am Schreiben, aber da fließt noch sehr viel Wasser den Rhein runter, bis das ansatzweise fertig ist. Aber es wird auf jeden Fall noch eins kommen.

 

Das sind gute Neuigkeiten! Danke dir für’s Interview!


 

MAGNOLIA (The Bauhaus Tapes) ist am 06. September via Embassy of Music erschienen.

 
 

TOURDATEN

 

13. Oktober - München

14. Oktober - Zürich

16. Oktober - Freiburg

17. Oktober - Stuttgart

18. Oktober - Frankfurt

19. Oktober - Dresden

20. Oktober - Berlin

22. Oktober - Hamburg

25. Oktober - Münster

07. November - Köln

15. November - Essen

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