Im August 2020 haben die Giant Rooks ihr Debüt-Album Rookery veröffentlicht, letzten Montag durften die verstaubten Tickets zur gleichnamigen Tour endlich wieder hervorgekramt werden. Ich war beim Tourstart in München dabei und durfte ganz spontan auch zur Show in Erlangen - dazu später mehr. Hier erfahrt ihr, wie es war.
Warten, warten, und nochmal warten
Die Stimmung vor dem Zenith in München ist ausgelassen, als sich die Tore um 18:30 Uhr öffnen. Der Einlass ist sehr gut organisiert, die Halle füllt sich nur langsam, erst kurz vor Stagetime der Vorband hat man das Gefühl, dass nicht die Hälfte der Leute den Termin vergessen haben. Naja, scheinbar waren nicht alle so ungeduldig wie ich und haben sich entspannt Zeit gelassen. Los ging es um 20 Uhr, bis dahin sitzen alle noch halbwegs gemütlich auf dem Boden. Wenn ich ehrlich bin, habe ich in diesem Moment zwei verschiedene Gedanken in mir: Zum einen natürlich die absolute Vorfreude auf das Konzert, gleichzeitig blitzt aber auch immer die Angst vor einer Corona-Ansteckung im Hinterkopf auf.
Sea Girls machen den Anfang
Wahnsinnig lange konnte ich mir darüber aber keine Sorgen machen, denn schon bald betreten die Sea Girls die Bühne, die zur Verwunderung unserer Nebenfrauen und -männer keine Girls waren, sondern vier Typen. Die Indie-Rock Band aus UK hat gerade ihr zweites Album Homesick veröffentlicht. Live machen die treibenden, eingängigen Songs noch mehr Spaß als auf Platte - meine persönlichen Favoriten sind "Violet" und "Sick". Da ging es nicht nur mir so. Niemand um mich herum konnte seine Füße still halten. In der Band ist es auf jeden Fall Rory, der Gitarrist, der die Energie hochhält. Frontmann Henry hat es mit der internationalen Karriere richtig ernst gemeint und alle Zwischenansagen auf deutsch erzählt. Das nenn ich mal Einsatz! Nach einer halben Stunde hinterlassen die Sea Girls die Halle gefühlte 30 Grad heißer ohne ein einziges Molekül Sauerstoff, dafür aber gefüllt mit strahlenden Gesichtern.
Dann heißt es mal wieder warten, diesmal stehend aneinander gepfercht. Aus der geplanten halben Stunde Wartezeit wird eine ganze und der stickigen Umstände entsprechend kippen drei Personen mit nur wenigen Minuten Abstand um mich herum um. Zum Glück handeln alle sehr vorbildlich, sodass die Personen schnell rausgeholt werden können und zum Teil auch schon wieder zurück sind, bevor das Konzert losgeht. Denn das dauert noch eine Weile. Irgendwann kommt eine Frau auf die Bühne, um nach mehreren Versuchen zu verkünden, dass es technische Probleme gibt - hat nicht gleich geklappt, weil auch ihr Mikrofon technische Probleme hatte. Full Circle Moment nenn ich das.
Während wir uns wegen des abgerauchten Monitors, wie Fred später erklärt, also noch etwas gedulden müssen, kann man schon erahnen, welche Stimmung auf die Band wartet. Die Umbauplaylist lässt leider etwas zu wünschen übrig, deshalb übernehmen irgendwann Fangesänge und "GIANT ROOKS"-Rufe aus dem hinteren Teil des Zenith. Dann endlich der Lichtblick: die Backliner tauchen auf und machen alles bereit, sodass es mit fast 45 Minuten Verspätung wirklich losgehen kann.
Stimmung am Maximum
Die ersten Klaviertöne von "Rainfalls" erklingen und Fred, Finn, Jonny, Finnbo und Luca treten auf die Bühne. "The Birth of Worlds" ist der epische Auftakt zum Abriss, der in den nächsten eineinhalb Stunden folgen wird. Vielleicht war es auch gar nicht so schlecht, uns so lange auf die Folter zu spannen, denn so hatten alle noch viel mehr Bock abzugehen. Die Energie der Crowd schießt prompt nach oben und wird den ganzen Abend nicht mehr nachlassen. Beim zweiten Song "Heat Up" toben und springen alle 5500 Menschen, die in München zur bisher größten Headline-Show der Band zusammengekommen sind, um wieder gemeinsam Livemusik zu feiern. Die Stimmung ist dem Song entsprechend aufgeheizt und schon jetzt bin ich klatschnass wie nach einem Marathon-Lauf. Ich hab's wirklich vermisst. Bis jetzt habe ich die Giant Rooks nur mit Abstand auf Picknickkonzerten erlebt. Das war zwar auf seine eigene Weise schön, aber wieder eng an eng in der Menge zu tanzen, reißt einen einfach nochmal in eine ganz andere Welt der Endorphine.
Happy Band, Happy Crowd
Die Band selbst kann ihr Glück kaum fassen, dass sie wieder in vollen Hallen spielen dürfen. "Drei Jahre lang haben wir darauf gewartet", freut sich Sänger Fred, nachdem er sich für die Verspätung entschuldigt hat. Ich will mir gar nicht vorstellen, was für ein Stress hinter den Kulissen geherrscht haben muss, wenn bei der ersten Show der Tour die Technik plötzlich abschmiert. Umso schöner, dass am Ende alles gut gegangen ist. Den ganzen Abend über versucht Fred seine Dankbarkeit auszudrücken, aber die laute Crowd hat ihm die Sprache verschlagen. Dafür waren auch gar keine Worte nötig, jeder im Raum hat in den leuchtenden Augen der umherhüpfenden Musiker gesehen, was für ein besonderer Moment das für alle war.
Als die 5500 Menschen in "Bright Lies" aus tiefstem Herzen "Ophelia, I leave my broken bones in the desert" schreien, kann man die Euphorie im Saal förmlich spüren. Neben den Tracks von Rookery spielen sie auch ein paar Lieder ihrer ersten beiden EPs New Estate und Wild Stare - und zwei neue Songs. "Bedroom Exile" haben sie extra für die Tour noch fertig aufgenommen und ich würde sagen, es hat sich gelohnt. Natürlich kann noch niemand mitsingen, aber Groove hat der Song auf jeden Fall.
Design vom Feinsten
An dieser Stelle kommt auch endlich das Bühnenbild zum Vorschein, dass man bis jetzt nur hinter einem weißen Vorhang erahnen konnte - und das ist krass. Die alten, im Gegensatz dazu schon eher simplen Backdrops sind Geschichte und wurden von einem neuen Design ersetzt, entworfen von Studio Clemens Loeffelholz in München. Ein riesiges Fenster mit Ausblick auf die LED-Wand, die in wunderschönen Farben leuchtet, dazu die hellen Outfits der Bandmitglieder - das ist ein richtiger Augenschmaus. Da hört man nicht nur gerne zu, sondern guckt auch gerne hin.
Viraler Hit
"Very Soon You'll See" kann den Schwung der Show, die durch "Bedroom Exile" etwas verloren gegangen ist, wieder aufholen, als Fred mittendrin "Tom's Diner" anstimmt. Genau, das gemeinsame Cover mit AnnenMayKantereit aus 2019, womit gerade ganz TikTok überflutet wird. Unsere kleinen Indie-Mäuse sind weltweit viral gegangen. Darauf erstmal ein "dadadada dadadada"!
Man könnte meinen, dass die Stimmungskurve bei "New Estate" den Höhepunkt erreicht hat, aber die Band legt mit jedem weiteren Song noch eine Schippe mehr drauf. Als ich mir bei "Nightingales of the Walled City", den Giant Rooks ausschließlich live spielen, die Seele aus dem Leib hüpfe, weiß ich nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich war. Fred treibt die Menge immer weiter an, die in Ekstase aneinander stößt, zu einem Strom verschwimmt, bis die Band nach "Mia & Keira" schließlich die Bühne verlässt - zumindest kurz, denn die Crowd fordert so laut nach einer Zugabe, dass Fred lieber ganz schnell wieder zurückkommt.
Ein letztes Mal Vollgas
Anstatt weiter die Energiewelle zu reiten, setzt er sich ans Klavier und stimmt "All We Are" an, einen der ruhigeren Songs, bei dem das Publikum aber dennoch aus vollem Herzen mitsingt und die Feuerzeuge in die Höhe streckt. Mit "Into Your Arms", dem sieben Minuten langen Schlusstrack von Rookery, bauen die fünf Jungs nochmal Spannung auf, die in "Watershed" ihr Finale findet. Neben mir öffnet sich ein Moshpit, ein letztes Mal lassen wir uns von der Musik mitreißen, stoßen aneinander, wenn die Melodie zwischen uns explodiert.
Und so war's in Erlangen
Zwei Tage später ging die Tour in Erlangen weiter. Die Show ist ausverkauft, ich habe kein Ticket und schaue neidisch die Instagram-Story der Band. Huch, verstecken die da gerade ein Polaroid? Jeremias haben das bei ihren vergangenen Shows auch hin und wieder gemacht, um Tickets zu verschenken, deshalb weiß ich direkt, was zu tun ist. So checke ich schnell auf Google Maps aus, wo ich ungefähr hin muss, düse mit meinem Fahrrad in die Stadt und erkenne den Ort aus der Story wieder. Es steht schon jemand dort, als ich ankomme, er hat aber schon ein Ticket und deshalb netterweise gewartet. So teilen wir einfach den Ticketpreis und verabreden uns für abends beim Konzert. Die nächsten Stunden muss ich mein Glück erstmal verarbeiten...
Die Setlist war natürlich dieselbe, deshalb werde ich da nicht ins Detail gehen - aber Erlangen, das war mindestens genauso heftig. Die Venue ist zwar mit einer Kapazität von 1800 Leuten deutlich kleiner, das tut der Stimmung aber keinen Abbruch. Ich bin mit deutlich höheren Erwartungen in diese Show gegangen und war deshalb anfangs etwas skeptisch. Denn bei den Sea Girls kommt die Crowd nicht so richtig in die Gänge und ist eher halbherzig dabei. Auch als die Giant Rooks (diesmal pünktlich) die Bühne betreten, braucht das Publikum noch ein paar Songs, um aufzutauen - obwohl in der Halle schon wieder tropische Temperaturen herrschen. "Ich glaub, so warm war's mir noch nie", kommentiert Fred und kümmert sich darum, dass Wasser im Zuschauerraum verteilt wird. Gut so, denn irgendwann hat sich wie ein Schalter umgelegt und die restliche Show ist ein einziger Moshpit-Marathon. Die Band kann ihr Glück kaum fassen und legt all ihre Kraft in die Noten, Akkorde und Luftsprünge, der ganze Raum schwebt in einem Zustand voller Ekstase, den man so schnell nicht mehr vergessen wird.
Fazit
Giant Rooks holen aus ihren Live-Shows alles raus, was irgendwie geht und reißen jeden einzelnen Zuschauer mit. Das Bühnenbild, die Produktion und die neuen Songs zeigen, wohin die Reise gehen wird - nach oben. Deshalb mein Tipp: Holt euch Tickets für diese Tour, wer weiß, wie groß die Hallen der nächsten sein werden.
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