Ich weiß, der Titel ist ein wenig reißerisch, aber hört zu: Letztes Jahr haben wir einen Artikel zu FLINTA*s auf Festivals veröffentlicht. Eine Zusammenfassung davon: Es gibt eine strukturelle Unterrepräsentation, die behoben werden muss. Das Problem besteht schon lange, problematisiert wird es auch schon lange, in der Öffentlichkeit präsent ist es seit ein paar Jahren. Die Sache ist klar, die Statistiken sind deutlich und trotzdem machen Veranstalter*innen weiter wie bisher: Ohne FLINTA*s. Allen voran der NDR. Das NDR 2 Plaza Festival hat nun seine Headliner veröffentlicht und gleich fällt auf: Sie sind ausschließlich männlich.
Von Bryan Adams bis Clueso
Der Verein Music Women* Germany hat in einem Instagram-Post berechtigte Kritik am Line-Up geäußert. Unter anderem wird kritisiert, dass das Festival auch durch Rundfunkgebühren finanziert wird. Auf der Seite des Rundfunkbeitrags heißt es: "Ihr Rundfunkbeitrag trägt entscheidend dazu bei, Vielfalt und Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heute und in Zukunft zu gewährleisten." Vielfalt also? "Er kommt nicht allen zugute, denn schließlich werden damit auch die Gagen der Acts bezahlt, die dort spielen. Und diese sind durch die Bank weg weiß und männlich. Somit kommt es eben nicht allen zu Gute," heißt es im Instagram-Post von Music Women* Germany.
Bryan Adams, James Arthur, Clueso, ClockClock und Alle Farben stehen auf dem Poster. Nur als Erinnerung: Es geht hier nicht um die Musik - das ist nunmal Geschmackssache. Frauen eine Plattform zu entziehen ist jedoch keine, sondern schlichtweg sexistisch. Gleiches gilt für die Diskriminierung von BIPOC-Künstler*innen. Auf der Website des NDR 2 heißt es: "Damit steht auch fest, dass wegen der terminlichen Verfügbarkeit der Künstlerinnen und Künstler die beiden Sender-Programmtage und damit einige Acts getauscht werden müssen."
Terminliche Verfügbarkeit? Künstlerinnen und Künstler? Weder scheitert es an der Verfügbarkeit von FLINTA*/BIPOC-Künstler:innen, noch daran, dass diese "nichts neues veröffentlicht" hätten. Wenn nach Künstler:innen gesucht würde, würden auch welche gefunden werden. Das Festival knüpft damit genau da an, wo wir noch 2019 standen: Einer 100 Prozent männlichen Headlinequote. Das ist zwar keine Überraschung, dennoch mehr als bedenklich.
Hat sich denn nichts geändert?
In ihrer Bachelorarbeit hat Rike van Kleef, Musikjournalistin, Autorin und Aktivistin, geschaut, wie es um die Geschlechterverteilung auf deutschen Festivalbühnen steht. In "Wer gibt hier den Ton an? Über die Repräsentanz von Geschlecht auf deutschen Unterhaltungsmusik-Festivalbühnen" hat sie festgehalten: "89,8 Prozent der Headline-Slots wurden ausschließlich männlich besetzt." Und auch 72,8 Prozent der restlichen untersuchten Programmslots wurden rein männlich besetzt. "Das heißt, rein männliche Künstler*innen und Bands wurden durchschnittlich mehr als zweieinhalb-mal so häufig gebucht wie Künstler*innen oder Bands, die mindestens eine Frau und/oder nicht-binäre/genderqueere Person innerhalb der Gruppe hatten."
Music Women* Germany fordert in ihrem Instagram-Post: "Geld von allen sollte auch allen Zugute kommen. Wir fordern, dass Veranstaltungen, die öffentliche Gelder beziehen, eine Quote erfüllen müssen, welche der Gesellschaft entspricht, die diese Veranstaltungen ermöglicht. Dies gilt auch für Festivals, die z.B. durch die Initiative Musik gefördert werden."
Die Antwort
In einem Kommentar unter dem Post von Music Women* Germany hat der NDR 2 zur Kritik Stellung genommen. Dort heißt es:
"Liebe Community von @musicwomengermany,
sorry, aber es ist völliger Quatsch, uns da eine böse Absicht zu unterstellen! Gerade wir geben Frauen in der Musik eine riesige Stimme, egal ob national oder international, das weiß auch die Branche und jedes Plattenlabel und fängt schon bei Newcomer:innen an. Wir hatten gerade erst Studiobesuch von Paula Hartmann mit ihrem neuen Album, wir haben Fløre gerade sehr ausführlich vorgestellt, auch Madeline Juno gehört dazu.
Nun zum diesjährigen Booking: ja, es hätte definitiv besser ausgesehen, wenn das Line-Up nicht nur auf die Männer beschränkt wäre, habt ihr völlig recht. Aber Veranstalter und Booker Hannover Concerts hat in diesem Jahr mit diesen Acts aus unserer Sicht ein erstklassiges Line-Up auf die Beine gestellt und es gibt oft verschiedene und sehr komplexe Gründe, welche:r Künstler:in wie und wo gerade verfügbar ist und gebucht werden kann und darf. Und: habt ihr euch mal angeschaut, welche großartigen Frauen wir allein in den vergangenen Jahren genau auf dieser Bühne hatten? Kleiner Auszug: Lea, Ellie Goulding, Stefanie Heinzmann, Lotte… Auch auf anderen NDR 2 Festivals und Events holen wir immer wieder Frauenpower auf den Bühnen: Silbermond, Zoe Wees, Loi, Leony, Mine, Namika, Lena, Ness, Revelle, Ásdís, Laurell… also bitte seht, dass euer generelles Statement unangebracht ist.
Bezogen auf das Plaza Festival versprechen wir euch, dass wir darauf achten, künftig kein rein männliches Event mehr zu präsentieren".
Es hätte auch in diesem Jahr nicht passieren dürfen, ein rein männliches Line-Up zu präsentieren, gerade wenn man sich der Problematik offensichtlich bewusst ist. Bisherige Unterstützung von Frauen einzuräumen ist ein Mindestmaß und keine Heldentat. Auch wenn es wohl eine Außnahme darstellt und sich einige Festivals die Kritik zu Herzen nehmen, scheint auch das Rock am Ring Festival (in van Kleefs Studie aufgeführt) 2024 desinteressiert daran, FLINTA*s auf die Headlineslots zu setzen.
Es scheint also noch ein langer Weg zu einem ausgeglichenen und repräsentablen Bild der Festivallandschaft vor uns zu liegen. Bis dahin heißt es weiterhin: Aufklären, kritisieren, protestieren, bis genug FLINTA*s auf deutschen Bühnen zu sehen sind!
Was ihr dafür tun könnt, könnt ihr hier nachlesen.
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